Interview mit Silja Schäfer

So gesund ist Essen in Gemeinschaft

Es gibt viele Möglichkeiten, sich im Alltag gesund zu ernähren. Sich dafür mit Nachbarinnen und Nachbarn zusammenzutun, ist eine sehr gute Idee, sagt Ernährungsexpertin Dr. Silja Schäfer, bekannt als „Ernährungs-Doc“ im NDR und Jurorin beim AOK-Förderpreis „Gesunde Nachbarschaften“.

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Welchen Beitrag können Nachbarschaften zu einer gesunden Ernährung leisten?
Nachbarschaften können ganz vielfältig zu einer gesunden Ernährung beitragen. Häufig besteht im präventiven Bereich großer Aufklärungsbedarf. In der heutigen Zeit, die von Social-Media-Beiträgen geprägt ist und in der jede:r seine persönliche Meinung zu einer vermeintlich gesunden Ernährung kundtun möchte, verliert man schnell den roten wissenschaftlich belegten Faden. Viele wünschen sich mehr Sicherheit in der Wissensvermittlung. Expert:innen in der Nachbarschaft können wunderbar aufklären und bei schon bestehenden Befindlichkeitsstörungen oder Erkrankungen hilfreiche Tipps weitergeben. Praktische Ideen und einfache Hacks beim Kochen und Zubereiten von Speisen können direkt und unmittelbar an die Hand gegeben, Erfahrungen ausgetauscht werden. Die Wuppertaler Initiative „Aufbruch am Arrenberg“ zum Beispiel setzt mit ihrem Projekt „Essbarer Arrenberg“ auf Veranstaltungen und Mitmach-Aktionen für Nachbar:innen, um das Bewusstsein für gesunde Ernährung zu erhöhen.  

Inwiefern trägt auch Essen in Gemeinschaft zur Gesundheit bei?
Essen in Gemeinschaft bedeutet meist, dass alle Beteiligten mit mehr Ruhe und Achtsamkeit bei der Sache sind, sowohl beim Kochen als auch beim Essen bzw. Genießen. Kein Essen-to-go, kein Mobile-Eating, weniger Snacking. Besonders wertvoll ist der soziale Austausch. Nirgendwo können Sorgen und Nöte besser diskutiert werden als in Ruhe am Tisch, wo vielleicht schon gemeinsame Lösungen für Probleme gefunden und Ängste und Nöte aufgefangen werden. Zuhören ist in unserer schnelllebigen Zeit ein schützenswertes Gut geworden.

Wie motiviert man sein nachbarschaftliches Umfeld für eine gesunde Ernährung, gerade auch Kinder, die sich oft nicht so leicht für gesundes Essen begeistern lassen?
Man darf mit den positiven Aspekten einer gemeinschaftlich gesunden Ernährung werben: gemeinsam viel Spaß und Freude erleben; spüren, wie sehr der eigene Körper wieder fitter wird; spontan sein oder nach einem gezielten Plan vorgehen; Körper und Geist stärken für mehr Leistungsfähigkeit und Lebensfreude. Auf geht´s – jeder kann es aus-PROBIEREN. Die Kölner Initiative „Wir im Nordquartier“ etwa lädt Familien aus der Nachbarschaft jetzt jeden Freitag ein, gemeinsam zu kochen und sich zu vernetzen. Der wichtigste Punkt ist meines Erachtens jedoch: als gutes Vorbild für Kinder voranschreiten.

Viele Nachbarschaften haben mit ihrem Engagement vor allem ältere Nachbarinnen und Nachbarn im Blick. Was tischt man ihnen am besten auf?
Ab einem Alter von 63 Jahren verlangsamt sich der Stoffwechsel jährlich um 0,7 Prozent, Appetit und Durstgefühl lassen häufig nach. Deshalb kommt es gerade jetzt auf qualitativ hochwertige Ernährung an: ausreichend Eiweiß aus verschiedensten Quellen, bunte und frische Gemüsevielfalt, wobei jede Farbe für einen anderen Vitalstoff steht, der in Gemeinschaft und mit einem Plausch genossen noch viel lieber verzehrt wird. Ein schönes Beispiel ist die Düsseldorfer Nachbarschaftsinitiative „Königinnen und Helden“, die ein wöchentliches Frühstück für die Senior:innen im Wohnumfeld anbietet und dafür auch auf Zutaten aus dem eigenen Vereinsgarten zurückgreift.

Und wie schafft man einen gesunden Mittagstisch, der allen Generationen schmeckt und guttut?
Die bunte Mischung und Vielfalt macht‘s. Lieber viele verschiedene Kleinigkeiten anbieten, jeder kann etwas Selbstgemachtes – vielleicht sogar seine eigene Lieblingsspeise – mitbringen und ergänzt so ein tolles, inspirierendes Buffet, welches zum Nachahmen einlädt. Ein Augenmerk könnte auch darauf liegen, alle Geschmacksrichtungen (süß, sauer, salzig, bitter, scharf, umami) abzudecken, so dass sich jede:r abgeholt fühlt. Beim interkulturellen Kochen der Hamburger Initiative „Wir für Niendorf e.V.“ haben Nachbar:innen alle zwei Wochen die Möglichkeit, ganz neue Gerichte und Geschmäcker kennenzulernen.

Viele Initiativen sind für ihre Projekte auf Spenden angewiesen. Wie gelingt es, gesund und preiswert zu kochen?
Hier darf man auf eine pflanzenbasierte Ernährung saisonal und regional setzen; die Wochenmärkte nutzen und am Ende eines Markttages nach Preisnachlass fragen. Wir dürfen lernen, wie gesund Hülsenfrüchte wie Erbsen, Bohnen, Kichererbsen, Linsen mit ihrem großartigen Mix an Ballaststoffen und pflanzlichem Eiweiß sind – Chili sin carne etwa ist ein wunderbar gesundes und kostengünstiges Gericht.

Worauf müssen Nachbarschaften, die mit einem Projekt in Sachen gesundes Essen starten wollen, achten?
Wichtig ist ein Organisations-Team, in dem die Aufgaben klar verteilt sind. Als Einsteigerprojekt lohnt sich immer ein gemeinsames Frühstück – aufwendiges Kochen für unterschiedliche Geschmäcker fällt hier weg. Und dann einfach loslegen und vom „learning by doing“ profitieren.

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